Jennifer kniet mit einigen Werkzeugen auf einem Waldboden und trägt Schutzausrüstung.

Jennifer Diaz Gonsalez, 25 Jahre

Kolumbien: 2021

Jennifer Diaz Gonsalez sucht im Regenwald Kolumbiens nach Minen. In dem lateinamerikanischen Land sind ganze Gebiete mit Sprengsätzen verseucht. Hinterlassenschaften eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs, der lange noch nicht überwunden ist. Aber die junge Frau hat gute Gründe zu kämpfen.

Die Sonne brennt auf den Friedhof von Maracaibo herunter. Kein Windhauch, der die drei Windräder aus Plastik zum Drehen bringt. Zwei weiße Betonkreuze stehen hinter dem bunten Kinderspielzeug. Luis Eduardo Moreno und Didier Moreno lauten die Namen, die auf ihnen eingeprägt sind. Sie starben als Kinder am 25. März 2007. Davon berichtet der gegossene Beton.

Ihre Schicksale haben viel damit zu tun, warum Jennifer Diaz Gonsalez heute, kaum mehr als ein dutzend Kilometer entfernt, im Regenwald schwitzt. Das Gesicht hinter Plexiglas und der Körper durch eine unförmige blaue Spezialweste geschützt. Die 25-Jährige erzählt über die Schicksale, die sich hinter den weißen Kreuzen verbergen. „Ein Guerillero hatte damals mit einer Gasflasche einen Sprengsatz gebaut. Als Mine, zu seinem Schutz – doch gestorben sind die beiden kleinen Kinder seiner Partnerin“, berichtet die Minensucherin. „Mit dieser Geschichte bin ich als Teenager aufgewachsen. Solche Unglücke darf es einfach nicht mehr geben. Dafür mache ich meinen Job“, erklärt die junge Frau.

Ihre Augen wandern über den Quadratmeter Regenwaldboden, den sie sichern will. Zwischen sich und einem Holzstab entfernt sie vorsichtig Laub und Äste. Es ist Millimeterarbeit, die vollste Konzentration erfordert. Eine Pflanze unsacht zur Seite gebogen, einen kleinen Stein unbedacht beiseite geschoben – das kann den Zünder auslösen, ihren Tod bedeuten. Die Sprengkraft kann ihren Kopf wegreißen. Oder ihre Arme zerfetzen. Im Dickicht und auf dem Boden kann alles auf sie warten. Eine Granate, die mit einem Zünder verbunden ist. Eine Ladung TNT, die tausende rostige Nägel in ihren Körper sprengt, Blindgänger von einem Gefecht, alte Munition oder eben eine Propangasflasche als Sprengkörper.

Es können aber einfach nur eine alte Schraube oder der Ring einer Bierdose sein, die den Detektor zum Piepsen bringen. Statistisch gesehen kommen auf eine Detektormeldung 1.000 Fehlmeldungen. „Und wenn es 10.000 Fehlmeldungen wären. Ja nie unvorsichtig werden. Es ist meist Leichtsinn, der zu Unfällen führt“, erklärt die junge Frau. Ist die Mine gesichert – das bedeutet sie ist freigelegt, ihre Lage gekennzeichnet und durch ein Schild sichtbar gemacht – entschärft oder sprengt sie baldmöglichst ein anderer Spezialist des Teams der Hilfsorganisation Humanity & Inclusion/Handicap International (HI).

Keinen Bruchteil einer Sekunde unvorsichtig sein. In Maracaibo steht für Jennifer Diaz Gonsalez der wichtigste Grund dafür auf zwei kleinen Füßen. Tochter Keira Lucia ist gerade einmal drei Jahre alt und wirft im Garten der Großmutter, umringt von hungrigen Hühnern, mit voller Inbrunst Maiskörner in die Luft. Die Minensucherin ist alleinerziehende Mutter, und ohne Unterstützung der Familie könnte sie ihrem Beruf nicht nachgehen. „Aber es zerreisst mir jedes Mal das Herz, wenn ich meine Tochter wieder verlassen muss“, sagt sie. Sechs Wochen ist sie dann am Stück im Camp der Minensucher.

Die Explosion, die Luis Fernando Valoy das rechte Bein und einen Finger zerreißt, konnte das HI-Minensucher-Team nicht mehr verhindern. Der 34-Jährige kommt aus einem Dorf, nicht weit von Maracaibo. Am 10. Juli 2020 riss ihm eine Mine das rechte Bein ab und einen Finger. Valoy träumt davon, eine Prothese zu bekommen und damit wieder aufrecht gehen zu können. Seine Frau dankt Gott, dass er nicht auf einem bescheidenen kleinen Friedhof wie bei Maracaibo liegt. Jennifer Diaz Gonsalez gibt viel, damit keine neuen Gräber von Minenopfern dazukommen.

Solche Unglücke darf es einfach nicht mehr geben. Dafür mache ich meinen Job.

Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung erschüttert.
Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.

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So unterstützt Handicap International

In einem Bürgerkrieg wurden große Gebiete des kolumbianischen Regenwaldes mit Sprengsätzen verseucht. Explosivwaffen (Granaten, Raketen, improvisierte Sprengsätze und Streubomben usw.) töten und verstümmeln. Über 90 Prozent der Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung – und das, obwohl der Einsatz von Explosivwaffen in bevölkerten Gebieten (EWIPA) durch das Völkerrecht verboten ist. Handicap International setzt sich dafür ein, dass das Völkerrecht und der besondere Schutz, unter dem die Zivilbevölkerung steht, mehr geachtet wird und die Betroffenen der explosiven Kriegsreste unterstützt werden.
Zusammen mit INEW beteiligten wir uns aktiv an dem diplomatischen Prozess zur Ausarbeitung einer politischen Erklärung, die dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz von EWIPA dienen soll. Die politische Erklärung wurde bei einer offiziellen Unterzeichnungskonferenz in Dublin am 18. November 2022 bereits von vielen Staaten angenommen und beinhaltet wesentliche Forderungen von HI und INEW: So werden die humanitären Auswirkungen von Explosivwaffen erstmals anerkannt und klare Verpflichtungen für die Staaten zur Opferhilfe, zur Räumung von Kampfmittelrückständen und zur Risikoaufklärung genannt.

Minen sind in den Regenwäldern Kolumbiens noch immer eine ständige Gefahr. Handicap International verfolgt beim Kampf gegen Minen einen ganzheitlichen Ansatz – von der Risikoaufklärung über die langfristige Unterstützung von Minenopfern bis zur humanitären Entminung und internationalen politischen Kampagnenarbeit. 1992 rief Handicap International gemeinsam mit anderen Organisationen die Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen (ICBL) ins Leben. 1997 wurde dieses Verbot mit dem Ottawa-Vertrag beschlossen (Inkrafttreten 1999). Für dieses politische Engagement und die erfolgreiche Kampagne erhielt Handicap International gemeinsam mit der ICBL den Friedensnobelpreis 1997.