Branislav Kapetanović, 49 Jahre

Serbien

Während der NATO-Luftangriffe auf das Territorium der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien wurden 1999 bis zu 1.765 Streubomben-Container abgeworfen. Jeder von ihnen war mit durchschnittlich 200 Stück Submunition bestückt. Bis zu einem Drittel der Streubomben-„Bomblets“ explodieren nicht beim Aufschlag und gefährden für Jahrzehnte als Blindgänger die Zivilbevölkerung. Das Waffensystem wird in Fliegerbomben, Artilleriegeschossen oder als Gefechtskopf für Marschflugkörper eingesetzt. Branislav Kapetanovic verlor beim Entschärfen von Streubomben beide Hände und Beine. Heute kämpft er für die Ächtung des Waffensystems.

Der Löwe schmiegt sich an Branislav Kapetanović. Der drückt sich gegen die Mähne, seine Beine leicht angewinkelt, die Hände im Gras aufgestützt. Im Gesicht ein entspanntes Lächeln. Ein paradiesisches Bild über die ganze Wohnzimmerwand. Ein Freund hat es gemalt. Das mit dem Löwen passt gut zu dem 49-jährigen Kämpfer Kapetanović. Was für den Maler nicht ins Bild gehört: Der Porträtierte hat keine Hände mehr, auch die Beine hat der Sprengsatz einer Bombe abgerissen, am 9. November 2000.

Branislav Kapetanović braucht sich nicht vorzuwerfen, einen Fehler gemacht zu haben. Bei der jugoslawischen Armee gilt er als absoluter Sprengstoffexperte. Korrekt, organisiert, bedacht. Keiner, der bei dieser gefährlichen Arbeit eine Bewegung macht, die unkontrolliert sein könnte. All das zeichnet einen guten Bombenentschärfer aus. Aber es schützt nicht in allen Fällen. An vielen Orten in Serbien hatte er nach den Nato-Luftschlägen Blindgänger entschärft. In Nis erlebte er sogar einen Angriff mit. Blut, Tote, Verstümmelung, Trauer: Branislav Kapetanović weiß genau, was Bomben anrichten. Deswegen ist er stolz auf seine Arbeit.

Nato-Flugzeuge hatten 1999 auf den Militärflughafen Dubinje Streubomben abgeworfen. Im Jahr darauf forderten sie noch ein weiteres Opfer: Der Bombenentschärfer biegt vorsichtig hohes Gras zur Seite. Die Submunition der in der USA produzierten Streubombe CBU 87 hat ein freundliches, strahlendes Gelb. Die Explosion zerfetzt Arme und Beine von Branislav Kapetanović, die Chirurgen müssen amputieren.

Vier Jahre liegt der ehemalige Soldat in einem Militärkrankenhaus. Schritt für Schritt bereiten die Ärzte ihren Patienten auf sein Leben außerhalb der Klinikmauern vor. „Das war extrem wichtig“, sagt Branislav Kapetanović. Doch sein Leben im Alltag trifft ihn trotzdem wie ein Schlag ins Gesicht. Der Obstverkäufer, der ihn nicht sehen will, als er an seinem Stand steht. Die verunsicherten Nachbarn. Betretene Blicke, auf den Boden gerichtet, wenn er mit dem Rollstuhl kommt. Das Gefühl, seine Familie zu belasten. All die Barrieren, die es zu überwinden gilt, wenn man keine Hände hat, keine Beine und die Menschen im Umfeld viele Vorurteile. Er setzt dagegen, was ihn immer stark gemacht hat. Disziplin und den Glauben an sich selbst. Und das, was jeder in seinem Gesicht lesen kann: Humor.

Branislav Kapetanović ist ein Löwe. 2007 spricht ihn Jelena Vicentic von Norwegian People’s Aid an, ob er nicht eine Kampagne gegen Streubomben unterstützen will. Der Serbe wird zu einem der Motoren zur Ächtung dieses Waffensystems. Er spricht weltweit auf Konferenzen, sitzt hohen Offiziellen gegenüber: Politikern, Militärs, Ministern. In Frankfurt macht er vor der Deutschen Bank auf Verstrickungen mit der Waffenindustrie aufmerksam. „Nur bei dem Star Sharon Stone fand er keine Worte“, lacht Jelena Vicentic, die längst zur guten Freundin geworden ist. Branislav Kapetanović winkt ab, räuspert sich und wird ernst: „Früher habe ich Bomben entschärft. Jetzt will ich auf eine andere Weise dafür sorgen, dass sie nicht mehr töten.“ Zahlreiche Auszeichnungen hat er dafür erhalten. Die schönste ist vielleicht die am wenigsten offizielle. Dafür kommt sie von einem Freund: der Löwe an der Wohnzimmerwand.

„Früher habe ich Bomben entschärft. Jetzt will ich auf eine andere Weise dafür sorgen, dass sie nicht mehr töten.“

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Branislaw Kapetanovic weiß genau, was Bomben anrichten. Er gilt als absoluter Sprengstoffexperte und hat jahrelang Explosivwaffen entschärft. Explosivwaffen (Granaten, Raketen, improvisierte Sprengsätze und Streubomben usw.) töten und verstümmeln. Über 90 Prozent der Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung – und das, obwohl der Einsatz von Explosivwaffen in bevölkerten Gebieten (EWIPA) durch das Völkerrecht verboten ist. Handicap International setzt sich dafür ein, dass das Völkerrecht und der besondere Schutz, unter dem die Zivilbevölkerung steht, mehr geachtet wird und die Betroffenen der explosiven Kriegsreste unterstützt werden.

Zusammen mit INEW beteiligten wir uns aktiv an dem diplomatischen Prozess zur Ausarbeitung einer politischen Erklärung, die dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz von EWIPA dienen soll. Die politische Erklärung wurde bei einer offiziellen Unterzeichnungskonferenz in Dublin am 18. November 2022 bereits von vielen Staaten angenommen und beinhaltet wesentliche Forderungen von HI und INEW: So werden die humanitären Auswirkungen von Explosivwaffen erstmals anerkannt und klare Verpflichtungen für die Staaten zur Opferhilfe, zur Räumung von Kampfmittelrückständen und zur Risikoaufklärung genannt.

Während der NATO-Luftangriffe auf das Territorium der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien wurden 1999 bis zu 1.765 Streubomben-Container abgeworfen.Streubomben sind Behälter, die viele kleine Geschosse über eine breite Fläche verteilen. Sie können vom Boden abgeschossen oder aus der Luft abgeworfen werden. Beim Aufprall explodieren oft nicht alle Geschosse und bleiben als Blindgänger liegen. Diese können nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden, weshalb die meisten Opfer aus der Zivilbevölkerung stammen. Handicap International unterstützt die Überlebenden dieser menschenverachtenden Waffen und setzt sich für ihre Räumung und weltweite Ächtung ein.