John Gatwang Gatkel, 46 Jahre
Südsudan: 2018
In den vergangenen Jahrzehnten herrschte im Südsudan nur kurz Frieden. Besonders hart trifft es die Versehrten. So wie John Gatwang Gatkel, dem eine Granate beide Beine abriss. Seit fast 30 Jahren fristet er ein Leben in Camps.
Auf seine langen Beine konnte sich John Gatwang Gatkel als Kämpfer immer verlassen. Sie tragen ihn schnell voran, wenn die Kugeln links und rechts an ihm vorbei pfeifen. Immer in Bewegung bleiben, so gibt man ein schlechtes Ziel ab. Jeder Soldat, der kämpft, weiß das. Egal, ob es über den staubigen Boden des Südsudan geht, oder ob man in irgendeinem anderen Konfliktgebiet auf der Welt um sein Leben läuft. In Bewegung bleiben heißt überleben. Als die Granate einschlägt, hat John Gatwang Gatkel keine Chance zu entkommen. Eine Granate sieht man nicht kommen. Man hört sie allenfalls noch pfeifen. Aber da ist nichts, wo der junge Kämpfer Deckung hätte suchen können. Er ist 18 Jahre alt, als ihm beide Beine amputiert werden. Dass er nicht auf dem Weg zum OP-Tisch verblutet ist, grenzt an ein kleines Wunder.
Amputierte Menschen sind als Soldaten im Südsudan nicht mehr zu gebrauchen. So verbringt er den Rest seines bisherigen Lebens in Flüchtlings- oder Vertriebenenlagern. Heute ist er 46 Jahre alt und fragt sich, was aus all seinen Träumen geworden ist. „Als Teenager, da wollte ich immer Basketballprofi werden. Das war natürlich verrückt“, lacht er. John Gatwang Gatkel ist ein Hüne von einem Mann. Wie ein Basketballer sieht er wirklich aus, wenn er zwischen all den Hütten aufragt.
Reihe um Reihe fügen sie sich im UN-Schutzcamp aneinander. Nahtlos, kaum ein Zwischenraum, immer nur ein paar Äste, Zweige und Planen zwischen sich und den Nachbarn. Eigentlich bräuchten alle 30.000 Einwohner des Camps psychologische Hilfe. Jeder hier hat seine Heimat und geliebte Menschen verloren. Es gibt kaum Jobs. Die Essensrationen verhindern lediglich Schlimmeres, aber sie machen nicht satt.
Die Bewohner vom UN-Schutzcamp, kurz PoC III, haben viel durchmachen müssen. Der Blockchef, der um zwei Brüder trauert, die er im Krieg verloren hat. Die junge Theresa, die ihren Mann vermisst. Bei der Minenexplosion, die ihn tötete, verlor sie selbst ein Bein. Ein paar Hütten weiter ist Simon, dem vor ein paar Monaten eine Kugel in den Fuß fuhr. Ein schmerzhafter Beweis, dass an eine sichere Rückkehr nicht zu denken ist. Die Wunde ist immer noch nicht verheilt.
Seit fast 30 Jahren sind Lager wie dieses die Welt von John Gatwang Gatkel. Es ist nicht so, dass John Gatwang Gatkel nicht versuchen würde, aus diesem Leben auszubrechen. 2015 war der Tag, an dem er zum letzten Mal richtig glücklich war. Mit 43 Jahren bekam er das Abschlusszeugnis der Sekundärschule in die Hand gedrückt. Der stattliche Mann hatte noch einmal zu lernen begonnen und er war ein guter Schüler. „Die Noten können sich sehen lassen. Ich war schon sehr stolz. Aber was hat es geändert?“, fragt der 46-Jährige. Jobs gibt es keine und eine Zukunft? Im Südsudan herrscht nach kurzer Friedenszeit nun wieder Krieg. Für den Kampf um die Unabhängigkeit hat John beide Beine verloren. Danach fragt niemand mehr.
Manchmal, da würde er wie vor der Amputation am liebsten loslaufen. Den Wind im Gesicht spüren, alles vergessen. Laufen, laufen, laufen, so weit ihn die Beine tragen.
John Gatwang Gatkel blickt auf seine Hosen, die Prothesen drücken sich beim Sitzen spitz durch den Stoff. Um das Lager herum haben die Blauhelme einen Schutzwall gebaggert. Dahinter ist das Leben für den 46-Jährigen chancenlos und gefährlich. Also bleibt er und wartet weiter auf seine spärlichen Rationen.
„Als Teenager, da wollte ich immer Basketballprofi werden. Das war natürlich verrückt.“
Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung erschüttert.
Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.
So unterstützt Handicap International
John Gatwang Gatkel verlor durch eine Granate beide Beine. Explosivwaffen (Granaten, Raketen, improvisierte Sprengsätze und Streubomben usw.) töten und verstümmeln. Über 90 Prozent der Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung – und das, obwohl der Einsatz von Explosivwaffen in bevölkerten Gebieten (EWIPA) durch das Völkerrecht verboten ist. Handicap International setzt sich dafür ein, dass das Völkerrecht und der besondere Schutz, unter dem die Zivilbevölkerung steht, mehr geachtet wird und die Betroffenen der explosiven Kriegsreste unterstützt werden.
Zusammen mit INEW beteiligten wir uns aktiv an dem diplomatischen Prozess zur Ausarbeitung einer politischen Erklärung, die dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz von EWIPA dienen soll. Die politische Erklärung wurde bei einer offiziellen Unterzeichnungskonferenz in Dublin am 18. November 2022 bereits von vielen Staaten angenommen und beinhaltet wesentliche Forderungen von HI und INEW: So werden die humanitären Auswirkungen von Explosivwaffen erstmals anerkannt und klare Verpflichtungen für die Staaten zur Opferhilfe, zur Räumung von Kampfmittelrückständen und zur Risikoaufklärung genannt.
- Lesen Sie hier mehr über die fatalen Wirkungen von Explosivwaffen.
Seitdem seine Beine amputiert wurden ist John auf Hilfe angewiesen. Seit der Gründung von Handicap International im Jahr 1982 sind Reha-Leistungen für Menschen mit Behinderung eine zentrale Aufgabe. Fachkräfte werden vor Ort ausgebildet und nutzen lokal verfügbare Materialien, Kompetenzen und Infrastrukturen. Hilfsmittel, wie zum Beispiel Prothesen, Orthesen, Rollstühle oder Hörgeräte, sowie psychosoziale Unterstützung helfen den Betroffenen wieder selbstständig ins Leben zurückzufinden.
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